Entführt in Tadschikistan

Vortrag von Major Gottfried Hoinig am 15.06.1999

1.) Einleitung

In diesem Beitrag soll ein UN-Einsatz mit österreichischer Beteiligung beschrieben werden, der sich sowohl von der Aufgabenstellung als auch von der Struktur des eingesetzten UN-Apparats, von den wohl besser bekannten klassischen ,,peace keeping operations“ der Vereinten Nationen, wie sie auf den Golan Höhen, im Nahen Osten (UNDOF) und auf der Insel Zypern (UNFICYP) zur Anwendung kommen, deutlich unterscheidet.

Ich war in der Zeit vom 15. Oktober 1996 bis 17. Oktober 1997 bei UNMOT (United Nations Military Observers in Tajikistan) eingesetzt und habe hier eine, von meinen vorangegangenen UN-Einsätzen völlig unterschiedliche, Ausgangslage vorgefunden. Der wichtigste Unterschied war wohl der, daß es sich hier einerseits um einen innerstaatlichen Konflikt mit starkem politischen wie militärischen Einfluß von Außen handelte und nach wie vor handelt und andererseits zum Zeitpunkt meines Dienstantritts zwar ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet war, das aber von beiden Seiten völlig ignoriert wurde und der Waffengang zum Alltag gehörte.

 

2.) Das Land Tadschikistan

a.) Geographische Lage

Die unabhängige zentralasiatische Republik Tadschikistan mit dem Autonomen Gebiet Gorno – Badakhshan, auch Badachschoni Kuhi Viloyat genannt, das über 44,5 Prozent der Gesamtfläche der Republik einnimmt, erstreckt sich über eine Fläche von 143.100 km2.

Die Republik Tadschikistan grenzt im Westen an Usbekistan, im Norden an Usbekistan und Kirgistan, im Osten an China und im Süden an Afghanistan. Die Hauptstadt Duschanbe ist mit ca. 584.000 Einwohnern zugleich auch die größte Stadt.

Vor ihrer Unabhängigkeitserklärung (09. September 1991) hieß die Republik Tadschikistan Tadschikische Sozialistische Sowjetrepublik und war Teil der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR).

Die Landschaft Tadschikistans ist stark von Gebirgen geprägt. Rund 93 Prozent der Fläche des Landes sind Gebirge und Gebirgszüge, und fast die Hälfte der Republik liegt auf einer Höhe von 3.000 Metern oder mehr.

Im Nordosten des Pamir-Hochlandes befindet sich der mit 7.498 Meter höchste Berg Tadschikistans, der Pik Kommunismus. Die landwirtschaftliche Nutzung der Republik ist aufgrund der gebirgigen Oberflächenstruktur mit nur ungefähr sieben Prozent äußerst niedrig.

 

b.) Klima

Das Klima in Tadschikistan zeigt ebenfalls starke Extreme. Es handelt sich um ein Kontinentalklima, wobei die klimatischen Bedingungen starken Schwankungen unterworfen sind. Im Jahresrhythmus erreichen die Temperaturen im Sommer Höchstwerte bis 500 C und im Winter Tiefstwerte von – 630 C, wobei vor allem zwischen Hochgebirgsregionen und tiefen Lagen starke Temperaturschwankungen vorherrschen. Die Durchschnittstemperatur beträgt im Juli in den Tälern über 310 C, wobei in den Bergen weniger als 100 C gemessen werden.

 

c.) Bevölkerungsstruktur

Tadschikistan hat ungefähr 5,8 Millionen Einwohner, bei einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von ca. 42 Menschen pro km2. Von den 5,8 Millionen Einwohnern sind etwa 62 Prozent Tadschiken.

Es gab kein tadschikisches politisches Staatsgefüge vor der kommunistischen Einteilung der UdSSR durch Stalin. Unter dem Vorwand, alle Tadschiken in einem Staat zu vereinen, begann auch hier eine der größten ethnischen Umschichtungen, jedoch nicht mit dem realpolitischen Ziel, tatsächlich einen tadschikischen Staat zu gründen, sondern vielmehr um die ethnischen Gruppen gegeneinander ausspielen zu können und dadurch die Macht des ,,russischen“ Sowjet zu garantieren.

Somit wurde die Struktur der nationalen Minderheiten Großteils von der Umsiedlungspolitik Stalins bestimmt. So wurden beispielsweise die Jagnobzen aus den Bergregionen zwangsweise in die Steppen des Südens umgesiedelt, wodurch zahllose Konflikte ausgelöst wurden. In den 30er Jahren wurden bereits die ,,Volksfeinde“ Stalins wie z.B. russische Kulaken, Wolgadeutsche, Krimtataren und Koreaner, nach Tadschikistan verbannt. Nach der Niederwerfung des Basmatschenaufstandes (1936) wurden turksprachige Usbeken in Gebiete umgesiedelt, die ausschließlich von persischsprechenden Tadschiken bewohnt waren. Die nunmehr rund 1,3 Millionen Usbeken stellen mit ca. zwei Dutzend Stämmen die größte nationale Minderheit in Tadschikistan dar. Als Folge der Kolonisierung und Russifizierung befanden sich 1989 440.000 Russen, Weißrussen, Balten und Ukrainer in Tadschikistan, von denen nach Kriegsausbruch rund 340.000 das Land verließen. Kasachen, Kirgisen, Turkmenen, Tataren, Osseten, Baschkiren, Araber, Armenier, Deutsche, Juden und Koreaner zählen mit einem Anteil von jeweils weniger als 1% zu den kleineren Minderheiten Tadschikistans. Deutsche, Juden und Koreaner kehren überwiegend in ihre Mutterländer zurück.

Die autonome Region Gorno – Badakhshan wird von ca. 160.000 Tadschiken und Pamiris bewohnt. Die sprachliche und kulturelle Vielfalt dieser Berg – Völker im schwer passierbaren Pamir – Gebiet ist bis heute erhalten geblieben.

Jene Siedlungsgebiete, die für die kulturelle Identität der Tadschiken am wichtigsten sind, liegen im heutigen Usbekistan. Es sind dies vor allem Buchara und Samarkand, wo heute mehr als eine Million Tadschiken wohnen. Den größten Bevölkerungsanteil stellen die Tadschiken jedoch in Afghanistan, wo sie mit mehr als 4 Millionen stärker als in ihrer Heimat Tadschikistan vertreten sind.

Die tadschikische Sprache, die Anfang 1990 als Amtssprache eingeführt wurde, gehört zu den iranischen Sprachen. Davor war Russisch Staatssprache. Die lateinische Schrift ersetzte 1929 die arabische, und ab 1940 wurde die kyrillische Schrift zwangsweise in Tadschikistan eingeführt. Es entstand zwar Anfang des 20. Jahrhunderts eine tadschikische Literatursprache in den Kulturzentren Buchara und Samarkand, sie fiel jedoch der gewaltsamen Russifizierung zum Opfer.

Somit wird die islamische Religion neben der Stammeszugehörigkeit oder der politischen Parteinahme zur einzigen einigenden Kraft, wobei die Bedeutung der Republik auf wenig Akzeptanz stößt. Daraus schließt, daß mittelalterliche Stammesstrukturen in ein Staatsgefüge zusammengefaßt wurden, das aber abgelehnt wird.

 

Diagramm Ethnische Gruppen

Diagramm Religionen

 

3. Der Bürgerkrieg

a.) Allgemeines

Interessanterweise nehmen westliche Medien kaum Notiz vom Bürgerkrieg in Tadschikistan, obwohl er laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn hinsichtlich der Zahl an Opfer die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien, Abchasien oder Karabach bereits in den Schatten stellt.

Der Bürgerkrieg in Tadschikistan ist in der Vielfältigkeit seiner Ursachen und der teilweise schwer nachvollziehbaren Zusammenhänge so komplex, daß eine eingehende Auseinandersetzung mit den Hintergründen des Konflikts aus Platzgründen in dieser Publikation nicht erfolgen kann. Um jedoch die Gesamtheit der Problematik zu sehen, in der MILOB’s (=Militärbeobachter) im Aufgabenvollzug stehen, ist ein geraffter Exkurs über die Ereignisse ab der Proklamation der Unabhängigkeit Tadschikistans unerläßlich.

 

b.) Entstehung der Tadschikischen Opposition

Noch während der Zeit der Perestrojka (1985-1991) entstanden in Tadschikistan zahlreiche informelle Gruppen, die die Grundlage zur Entstehung für die tadschikische Opposition bildeten. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Bewegungen angeführt werden:

  • Zu einer großen Bewegung bildete sich die politische Organisation ,,RASTOCHEZ“ (= Wiederauferstehung) unter Führung des tadschikischen Parlamentsabgeordneten Taher ABDULSHABOR. Ihr gehörten sowohl tadschikische intellektuelle Gruppen als auch Reformkommunisten an, die für politische und wirtschaftliche Autonomie, Demokratisierung, Bekämpfung der sozialen und ökonomischen Rückständigkeit des Landes sowie einer Neubelebung der persisch – tadschikischen Beziehungen steht.
  • Am 10. August 1990 schlossen sich mehrere informelle Gruppen zur ,,DEMOKRATISCHEN PARTEI“ unter dem Vorsitz von Jusupow SCHODMAN zusammen. Diese Partei wurde erst im Juli 1991 offiziell zugelassen und strebt ein westliches Wertesystem, parlamentarische Demokratie und freie Marktwirtschaft an.
  • Aus informellen Gruppen der Pamiris entstand 1991 die regionale Opposition ,,LAL’l BADACHSCHAN“ unter der Führung von Asobek AMIRBEK und Dawlat CHUDONASAROW, die 1992 wieder verboten wurde.
  • Am 26. Oktober 1991 wurde die größte oppositionelle Partei unter Muhammad Scharif CHIMATSODA mit dem Namen ,,ISLAMISCHE PARTEI DER WIEDERGEBURT“ gegründet. Die Kommunisten versuchten bereits anläßlich einer Vorbereitungskonferenz im Oktober 1990 die Aktivitäten dieser Partei zu unterbinden.

 

Im Herbst 1991 schlossen sich die neugegründeten Parteien zu einem Block der ,,ISLAMISCH-DEMOKRATISCHEN OPPOSITION“ zusammen. Dieser Block vertrat die Interessen der südlichen Klane sowie der liberalen städtischen Intelligenz und der moslemischen Geistlichkeit. Er forderte den Rücktritt der kommunistischen Regierung, die Auflösung des zu 95% mit Kommunisten besetzten Parlaments, Neuwahlen auf Grundlage des Mehrparteiensystems und die Übernahme des persischen Alphabets.

Damals wurde in westlichen Medien erstmals von der Gefahr des islamischen Fundamentalismus in Tadschikistan berichtet, obwohl die Schaffung eines islamischen Gottesstaates zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwogen wurde. Die tadschikischen Kommunisten der nördlichen und südlichen Klane haben jedoch erkannt, daß ihre Macht wegen der starken religiösen Gefühle der Bevölkerung, der Schwäche der westlich orientierten demokratischen Bewegung und des niedrigen Lebensstandards nur von den Islamisten ernsthaft gefährdet werden kann.

 

c.) Chronologie der Gewalt

1992 brachen in Tadschikistan Kämpfe zwischen den Kommunisten und der Opposition aus, die schließlich zur Absetzung von Präsident Rahman NABIJEW (1991/92) führten. Mit Waffenlieferungen aus Afghanistan gelang es schließlich den islamischen Demokraten, die Gewalt über die Hauptstadt DUSHANBE zu gewinnen. Mit der Hilfe von russischen und usbekischen Streitkräften eroberten die Kommunisten die Stadt zurück und brachten das ganze Land unter ihre Kontrolle. Die Kampfhandlungen zwischen den verfeindeten Gruppen konnten jedoch nicht beigelegt werden.

Nach der Machtübernahme startete die Regierung eine Kampagne der Verfolgung und Unterdrückung der politischen Opposition. Verschiedene politische Gruppen der Opposition wurden verboten, wie etwa die Islamische Renaissance Partei (IRP) oder die Partei LaI’i Badachschan, die eine größere Autonomie für das Gebiet Gorno – Badachschan forderte. Es kam zu einer starken Einschränkung der Aktivitäten der Presse, oppositionelle Zeitungen wurden zwangsweise geschlossen, viele Journalisten verhaftet, wobei mehrere von ihnen spurlos verschwanden oder später wieder tot aufgefunden wurden. Prominente Oppositionsführer wurden ebenfalls unter Arrest gestellt.

Das Land erlebt derzeit seit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches ein Wiedererstarken des Islam.

 

d.) Die Präsidentschaftswahlen

Mit den früheren Kommunisten, die noch immer an der Macht sind, wurde auch die regionale Spaltung der politischen Struktur der Republik beibehalten. So stammen die meisten prominenten Regierungsbeamten aus den Regionen Chudschand (vormals Leninabad) im Norden und Kuljab im Süden des Landes.

Im November 1994 wurden mit einer verfassungsgebenden Volksabstimmung kombinierte Wahlen abgehalten, bei denen das Amt des Präsidenten wieder geschaffen und Emomali RACHMONOW zum Präsidenten gewählt wurde.

Durch diese Präsidentschaftswahlen sollte das Terror-Regime der sogenannten Kuljab-Kommunisten (Süden) legitimiert werden. Es standen zwei Kandidaten zur Wahl: Der Kandidat des ,,Süd-Klans“ aus der Region Kuljab, der Parlamentsvorsitzende Emomali RACHMONOW sowie Ex-Ministerpräsident Abdumalik ABDULLODSCHANOW, inzwischen Botschafter in Moskau, ein Anhänger des früheren Parteichefs MACHKAMOW aus der Region Chudschand (Norden). Die Kandidatur ABDULLODSCHANOWs erfolgte auf Druck Rußlands und Usbekistans, die stets enge Beziehungen zur kommunistischen Nomenklatura des Nordens (CHUDSCHAND, früher LENINABAD) unterhalten hatten.

Gewinner der ursprünglich für den 25. September vorgesehenen, jedoch erst am 06. November 1994 abgehaltenen Wahlen wurde, wie bereits vorangeführt, Emomali RACHMONOW mit angeblich 58,32% der abgegebenen Stimmen. Diese Wahlen fanden in einem Klima der Angst und Einschüchterung, mit mehrfacher Stimmabgabe und Stimmzettelfälschung, statt. Das Wahlgesetz wurde so konstruiert, daß die islamische und demokratische Opposition keine Möglichkeit hatten, eigene Kandidaten aufzustellen. Die Wahlen dienten somit nicht dazu, die Lage im Lande zu stabilisieren und eine pluralistische Gesellschaft zu ermöglichen.

Nun wurden alle Oppositionsparteien verboten und ihre Führer ins Exil geschickt. Russische Truppen blieben weiterhin im Land stationiert, um der Bedrohung einer Infiltration von islamischen Extremisten aus dem benachbarten Afghanistan entgegenzuwirken. Die Furcht vor einer Eskalation des Konflikts zwischen von Afghanistan aus operierenden tadschikischen islamischen Rebellen und russischen Truppen verschärfte sich, als die Rebellen im Frühling 1995 einen Angriff auf die äußere Grenze zwischen den beiden Staaten starteten, mit der Absicht, eine Brücke ins Innere Tadschikistans freizukämpfen. Dies wurde als massive Bedrohung der Interessen Rußlands in Zentralasien gesehen.

Am 23. Dezember 1996 unterzeichneten der prorussische tadschikische Präsident Emomali RACHMONOW und der Anführer der islamischen Rebellen (als Vorsitzender der Vereinigten Tadschikischen Opposition (UTO)) Dr. Said Abdullo NURI in Anwesenheit des russischen Ministerpräsidenten Viktor TSCHERNOMYRDIN ein Grundsatzabkommen, das die Vorgehensweise für weitere Verhandlungen und Abkommen als Vorbereitung für ein Friedensabkommen regelt und die Beendigung des seit 1992 andauernden Bürgerkriegs einleitet.

Der Konflikt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 30.000 Menschenleben gefordert. 500.000 Menschen gelang die Flucht aus dem stark zerstörten Land. Es kam so zu einer weiteren humanitären Katastrophe, die vom Westen allerdings kaum Beachtung fand.

Ein Rat zur Nationalen Aussöhnung (National Reconciliation Council (NRC)), gebildet aus Vertretern von Regierung und Opposition, ist für eine Übergangsperiode vorgesehen und soll u.a. eine Amnestie erlassen und die Freilassung aller Kriegsgefangenen veranlassen.

 

4. United Nations Military Observers in Tajikistan (UNMOT)

Bevor in Tadschikistan überhaupt über eine Präsenz der UNO (sowie der OSZE) nachgedacht wurde, intervenierte Rußland offiziell auf Bitten des Präsidenten E. RACHMONOW mit dem Ziel, das kommunistische Regime gegen die islamisch-demokratische Opposition zu schützen. Die rechtliche Grundlage für die Intervention bildeten das Abkommen über kollektive Sicherheit der GUS-Staaten sowie der bilaterale Freundschaftsvertrag. Zwar nennen sich die russischen Truppen ,,Friedenstruppen“, verhalten sich aber weder friedensschaffend noch neutral, sondern unterstützen einseitig die postkommunistische Regierung und somit nur eine Konfliktpartei. Die Präsenz der russischen Armee wirkte nicht als Stabilisierungsfaktor, sondern als verschärfendes Element des Krieges in Tadschikistan.

Im Jänner 1993 kamen die ersten UN-Experten, kurz nach der gewaltsamen Machtübernahme der Kommunisten im Dezember 1992, nach Tadschikistan. Im August 1993 führte der Sonderbotschafter des UN-Generalsekretärs, Ismat KITTANI, Verhandlungen über die Möglichkeit der Rückführung tadschikischer Flüchtlinge. Gleichzeitig informierten Rußland, Tadschikistan, Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan den UN-Sicherheitsrat über die Entsendung von sogenannten „Koalitionstruppen“ nach Tadschikistan zum Schutze der tadschikisch-afghanischen Grenze.

Am 01 12 1993 beschlossen die Außenminister der KSZE/OSZE in Rom, auf Wunsch der Regierung in Duschanbe eine Mission nach Tadschikistan zu schicken, um zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten

Die erste Verhandlungsrunde zwischen Regierung und Opposition fand unter Schirmherrschaft der UNO im April 1994 in Moskau statt. Man einigte sich auf eine Tagesordnung, zu der die Frage der Entwaffnung, die Rückführung der Flüchtlinge und die Durchführung demokratischer Neuwahlen gehörten.

Im Juni 1994 fand in Teheran eine zweite Verhandlungsrunde statt, die jedoch ohne Ergebnis wieder abgebrochen wurde, da die Regierung RACHMONOW zunächst weder in Moskau noch in Teheran bereit war, ein zeitweiliges Waffenstillstandsabkommen abzuschließen. Erst bei der Fortsetzung der Teheraner Verhandlungen kam es am 18 09 1994 zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens, wodurch die Voraussetzung für die Entsendung von UNO-Beobachtern geschaffen war.

Im Oktober 1994 trafen 16 UNO-Beobachter, u.a. aus Dänemark und Österreich, in ihren Einsatzorten im Pamir-Gebirge und an einzelnen Abschnitten der tadschikisch-afghanischen Grenze ein. Am 16 12 1994 beschloß der UN-Sicherheitsrat die Resolution Nr.968, wonach im Rahmen der UNMOT 44 Beobachter entsendet werden, unter der Voraussetzung, daß der Waffenstillstand fortgesetzt und freie Wahlen vorbereitet werden.

 

UNMOT: Gliederung

Die UNMOT – Mission gliedert sich in ein Hauptquartierselement, einen militärischen und einen zivilen Bereich, sowie einer Verwaltungskomponente. Der Head Of Mission (HOM) steht der Mission als Gesandter des UNO Generalsekretärs für Tadschikistan vor.

Die Militärbeobachter versehen ihren Dienst sowohl vom Hauptquartier aus als auch von sogenannten »Team-Sites“ (TS), die je nach Notwendigkeit an besonders sensiblen Abschnitten eingerichtet wurden bzw. werden. Jedem Team wird eine ,,Area Of Responsibility“ (AOR) zugewiesen, innerhalb welcher der Dienst als Beobachter durchgeführt wird. Die Besetzung der TS erfolgt international, wobei jeweils mindestens vier Offiziere unterschiedlicher Nationen sowie ein tadschikischer Dolmetsch ein Team bilden; einer der Offiziere wird vom Hauptquartier als ,,Team-Leader“ (TL) eingeteilt. Diese Entscheidung trifft der Chief Military Observer (CMO) oder dessen Stellvertreter.

Der jeweilige TL ist nicht nur für das gesamte Team in personeller wie materieller Hinsicht verantwortlich, er trägt auch die ungeteilte Verantwortung für die Qualität der Ausführung der jeweiligen Aufträge gegenüber dem CMO.

 

Gliederung UNMOT

 

Aufgaben von UNMOT

Im Wesentlichen hat UNMOT gemäß Resolution 968, vom 16. Dezember 1994 folgende Aufgaben wahrzunehmen:

  • Unterstützung der in den Teheraner und Moskauer Verhandlungen des Frühjahres 1994 gegründeten gemeinsamen Kommission (Joint Commission (JC)) bei der Überwachung der Realisierung des Abkommens vom 17. September 1994. (Die JC besteht aus je sieben hochrangigen Vertretern beider Streitparteien, die bei Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens oder bei Unterdrückung einer der Volksgruppen, Geiselnahmen, Verschleppungen, etc. gemeinsam die Sachlage erheben und durch Einflußnahme auf den jeweiligen Verantwortlichen eine friedliche Beilegung des Konflikts erzielen sollte).
  • Untersuchen von Waffenstillstandsverletzungen und Melden der Ermittlungsergebnisse an die vorgesetzte UN-Dienststelle und die JC.
  • Zur Verfügung Stellen der UN-Dienste und Einrichtungen gemäß Abkommen vom 17. September 1994.
  • Herstellen enger Kontakte zu den Streitparteien sowie anderer nationaler und internationaler Organisationen, den sogenannten ,,Friedenstruppen“ der GUS – Staaten und der 201. Russischen MotSchützenDivision, die als Grenzschutz gegen Afghanistan eingesetzt ist.
  • Unterstützung der Bemühungen des Gesandten des UN-Generalsekretärs.
  • Herstellen der politischen Zusammenarbeit und Unterstützung zur Koordination verschiedener Dienste und Einrichtungen, um schnelle humanitäre Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu ermöglichen.

 

Mit dem bisher Angeführten versuchte ich einen Überblick über die Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein zur UNMOT-Mission entsandter Militärbeobachter vorfindet und in dessen „Korsett“ er seinen Auftrag zu erfüllen hat. Die Tatsache, daß der Bürgerkrieg in Tadschikistan nicht nur ein Krieg ohne Fronten, sondern vor allem ein Krieg der Regionen, Einflußzonen und Klans ist, der von unzähligen sogenannten ,,Warlords“ geführt wird, erschwert nicht nur die Umsetzung der Aufgaben jedes einzelnen Militärbeobachters, sondern stellt auch ein enormes Risiko für Leib und Leben dar. Dazu kommen noch die Herausforderungen, die durch die geographische Lage, das teilweise unwegsame Gelände und die extremen klimatischen Bedingungen hervorgerufen werden sowie die katastrophalen hygienischen Zustände, die durch die Zerstörung der Infrastruktur verursacht wurden.

 

6. Der Einsatz aus der Sicht eines Betroffenen:

a.) Die Reisebewegung

Bis Moskau war die Reise problemlos; schon bei der Paßkontrolle im internationalen Flughafen Moskau traten die ersten Schwierigkeiten auf, da mein Kamerad Mjr Otmar L. noch einen alten (natürlich gültigen) Dienstpaß hatte, für mich aber bereits der neue EU-Dienstpaß ausgestellt war, wodurch sich die russische Zollbeamtin sichtlich irritiert fühlte. Leider konnte keine Konversation aufgenommen werden, da sie kein Wort Englisch sprach und wir nicht einmal kyrillisch lesen, geschweige denn Russisch sprechen konnten. Dafür waren aber unsere Englischkenntnisse auf Herz und Nieren überprüft worden.

Die Weiterreise erfolgte am nächsten Tag vom Moskauer Flughafen DOMODEDOWO. Hier erfolgte bereits eine Erhöhung der Spannung, als der verantwortliche Schalterbeamte für die Gepäckaufgabe die Mitnahme unserer Ausrüstung, trotz vorhandener gültiger Dokumente, verweigerte. Erst nach Bezahlung eines fürstlichen „Schmiergeldes“ erzielten die behördlichen Dokumente soviel an Gewicht, daß die Mitnahme der Ausrüstung plötzlich möglich wurde. Daß nichts abgewogen oder in irgendwelchen Listen die Mitnahme der Gepäckstücke vermerkt wurde, fiel vorerst gar nicht auf. Erst als wir uns in einer schier unglaublichen Menschenmenge vor einer Tupolev 156 der Tajik Air anstellen mußten, keimte der Verdacht auf, daß hier mit einer vermutlich weit überladenen Maschine der Flug aufgenommen werden sollte. Als dann die Piloten mit einer unverkennbaren ,,Vodkafahne“ den Flugzeugführerstand ,,besetzten“, überkam meinem Kameraden und mich trotz mehrfacher Einsatzerfahrung das schleichende Gefühl von Angst in Form des berühmten eigenartigen ,,Ziehens“ der Blase.

 

b.) Ankunft in Duschanbe

Endlich in Duschanbe angekommen, wurden wir vom bulgarischen Logistikoffizier und den beiden Österreichern, die Otmar L. und ich ablösen sollten, abgeholt. Es war Nacht und regnete leicht – über der Stadt herrschte drückende Schwüle. Nachdem der Logistikoffizier alle Formalitäten erledigt hatte und unser Gepäck auf zwei Landrover verladen war, führten uns unsere Kameraden zu einer Wohnung, die sie für uns vorerst angemietet hatten.

Wir waren etwas über die eigenwillige Fahrweise unserer Kameraden überrascht; viel zu hohe Geschwindigkeit fürs Stadtgebiet, Kreuzungen grundsätzlich bei rot überfahren, etc. Auf unsere Reklamation hin machten uns unsere Kameraden auf die ,,nächtlichen Geräusche“ aufmerksam. Erst jetzt vernahmen wir das Gewehrfeuer, und uns wurde langsam aber sicher klar, hier einen UN-Einsatz der etwas anderen Art vor uns zu haben. In diesem Augenblick erinnerten wir uns an Obstlt SPONNER, der nur einige Monate zuvor im Feuer rivalisierender Gruppen ums Leben kam.

 

c.) Verlegung in den Einsatzraum

Der Personaloffizier im Hauptquartier erklärte Otmar L. und mir, daß die gefährlichsten Abschnitte im Tadschikischen Bürgerkrieg die Räume Tavildara und Garm wären und wir eigentlich nur mehr die Wahl zwischen einen der beiden Einsatzorte hätten. Es wäre normal, neu ankommende Österreicher schon allein wegen der gebirgigen Struktur bei Garm und Tavildara eben dort einzusetzen.

Also nahm PersO eine Münze, und nach Zuordnung von Kopf und Zahl war der Einsatz von Otmar L. und mir entschieden: Mjr Otmar L.: Tavildara, Mjr Gottfried H.: Garm.

Am 22.10.1996 war es dann so weit, wir wurden in unseren jeweiligen Einsatzraum verlegt. Ein Team aus Duschanbe brachte mich bis zum Beginn der AOR des Team Garm in der Ortschaft Obigarm (ca. 80 km östlich von Dushanbe im Karategin-Gebirgszug), wo ich von einem bulgarischen Offizier und je einem Offizier aus Dänemark und Uruguay sowie einem tadschikischen Dolmetsch übernommen wurde. Die Fahrt bis Obigarm war bereits sehr beeindruckend sowohl von der Landschaft als auch von den vielen unterschiedlichen Menschentypen, vor allem aber auf Grund der massiven Truppenkonzentrierungen der tadschikischen Armee. Je weiter wir uns aber Richtung Garm bewegten desto öfter trafen wir auf bewaffnete Check Points (CP) der Mujaheddin.

In Garm angekommen bezogen wir ein altes Holz/Stein-Haus, das sich 50 m nördlich der Garmer Hauptstraße (mögliche Hauptstoßrichtung im Falle eines Angriffs auf Garm) und in unmittelbarer Nähe des Gebäudes des Innenministeriums (MOI) befand, das als Hauptquartier für die in Garm stationierten MOI Truppen diente.

Zur Struktur der auf Regierungsseite eingesetzten Truppen muß erwähnt werden, daß die sogenannten ,,Powerministries“ (Verteidigungsministerium (MOD), Innenministerium (MOI) und Sicherheitsministerium (MOS)) jeweils eigene Truppenkörper unterhalten, die in der Befehlsstruktur nur dem eigenen Ministerium unterstehen. Es gibt keinen übergeordneten Zusammenhang mit klar definierter Führungskette. Vielmehr bekämpfen sich fallweise regierungsseitige Truppen unterschiedlicher Ministerien, um regionalen Einfluß und Macht zu verstärken oder zu erweitern.

Im Oktober 1996 war Garm noch unter der alten staatlichen Verwaltung. Ein zwischen den staatlichen Vertretern und Vertretern der UTO unter UN-Schirmherrschaft am 16. September 1996 von beiden Seiten unterzeichnetes Abkommen sollte diesen status quo garantieren.

 

d.) Der Dienst in Garm und der AOR des Team Garm

Die Aufgaben, die wir von der TS Garm wahrzunehmen hatten, waren sehr vielschichtig. Zum einen war die Durchsetzung der ,,freedom of movement“ als ein festgeschriebenes Recht für UNMOT von Bedeutung, zumal sich die in den Bergen operierenden Kämpfer der UTO oftmals nicht daran gebunden fühlten und die Bewegungsfreiheit der MILOB’s eher als Instrument der Spionage sahen. Es war daher notwendig, durch regelmäßig durchgeführte Patrouillenfahrten Flagge zu zeigen und durch geschicktes Verhandeln das Mißtrauen abzubauen und die eigene Bewegungsfreiheit zu erhalten, was freilich nicht immer möglich war. Andererseits gab es immer wieder lokale Gefechte, die die Stabilität des ,,Garm-agreements“ gefährdeten. Auch hier war nach Abschätzung des persönlichen Risikos und Freigabe durch das Hauptquartier zumindest der Versuch zu unternehmen, den mühsam errungenen Kompromiß um Garm zu erhalten. Selbstverständlich gab es den Grundsatz der Vermeidung unnötigen Risikos für UN-Personal, es braucht aber nicht viel Phantasie, die Schwierigkeit bei der Umsetzung dieses Grundsatzes zu erkennen, vor allem dann, wenn dem UNMOT-Einsatz ein Mindestmaß an Sinnhaftigkeit verliehen werden sollte. Der Aufgabenvollzug stellte so für die unbewaffneten MILOB oftmals eine gewagte Gratwanderung dar. Dazu kam auch die teilweise geringe Akzeptanz der UN und der oft schwer durchschaubare Wahrheitsbegriff beider Seiten. Erhielt man Sicherheitsgarantien seitens der zuständigen Ministerien oder der UTO Führung, war die Umsetzung bei den lokalen Kommandanten noch lange nicht garantiert.

Für die UNO Beobachter in Tadschikistan gibt es keine entmilitarisierte Zone. MILOB’s führen ihre Arbeit direkt vor Ort aus und leben daher zwangsweise in einer der Einflußzonen der Streitparteien. Das zwingt zu äußerst sensibler Auftragserfüllung, um nicht in den Verdacht der Spionage für die jeweils andere Seite zu geraten. Sind Beobachter einmal mit diesem Vorwurf konfrontiert, kann der Auftrag nicht mehr erfüllt werden und erzwingt ein Austauschen des Teams. Der gesamte Prozeß der Vertrauensbildung beginnt somit wieder von neuem. In einer kleinen (44 Mann) Mission muß sich jeder einzelne seiner Verantwortung bewußt sein, da Fehlverhalten unabschätzbare Folgen für die gesamte Mission haben kann.

An dieser Stelle soll auch die ungelöste Landminensituation nicht unerwähnt bleiben. Die Verlegung von Landminen erfolgt in Tadschikistan grundsätzlich ohne Minenverlegungsplan – man beruft sich vielmehr auf Einzelpersonen (sogenannte Spezialisten), die aber aus unerklärlichen Umständen verschwunden sind (und mit ihnen offensichtlich das gesamte Wissen über die Minenfelder – Lüge oder Wahrheit?). Sowohl spielende Kinder als auch Kombattanten beider Seiten werden durch diese unbefriedigende Lösung und der mangelnden Bereitschaft, ernsthaft an der Beseitigung dieser zu arbeiten, oftmals Opfer der Minensituation. Nicht selten werden MILOB’s zu Helfern in der Not, um Verunglückten ein Mindestmaß an Versorgung zu gewährleisten.

 

e.) Der Fall von Garm

Am 01. Dezember 1996 griffen die Kämpfer der UTO um 0500 Uhr Garm an. Die Kampfhandlungen entwickelten sich dramatisch, zumal seitens der Regierung auch aus der Luft die Zurückdrängung der UTO-Kämpfer mit MI-24 Kampfhubschrauber versucht wurde. Der Auftrag konnte unter diesen Voraussetzungen aus der TS Garm nicht mehr erfüllt werden. Schließlich erhielten wir aus Duschanbe den Befehl, nach persönlicher Einschätzung der Lage zu handeln und bei der besten sich bietenden Gelegenheit aus Garm zu evakuieren. Letztlich waren die Regierungstruppen nicht erfolgreich, Garm fiel in die Hände der Vereinigten Tadschikischen Opposition und das Garm-agreement war das Papier nicht wert, auf dem es stand. An ein Evakuieren Richtung Duschanbe über die einzig mögliche Verbindungsstraße M41 war wegen der Versuche der Regierung mit massivem Militäreinsatz das Vordringen der Mujaheddin Richtung Duschanbe zu verhindern, nicht zu denken. Somit blieb uns nur mehr die Möglichkeit, über eine Bergroute nach Kirgistan zu evakuieren. Über Kirgistan und Usbekistan gelangten wir von Norden (Ferganatal) wieder nach Tadschikistan und in weiterer Folge nach Duschanbe zum UN-Hauptquartier. Bei unserer Ankunft stellten wir fest, daß alle Teams aus Sicherheitsgründen zurückbeordert waren. Nun gab es vorerst eine kurze Erholungspause, wobei der Erholungswert in Duschanbe nicht wirklich gegeben war.

 

f.) Rückkehr nach Garm

Schon einige Tage nach unserer Ankunft in Duschanbe war klar, daß das Team Garm als einziges Team wieder zurückbeordert wird, weil der Abschnitt Karategin nicht nur als sehr sensibel, sondern vor allem als ,,Gordischer Knoten“ auf der Suche nach einer Lösung im jahrelangen Bürgerkrieg galt. Selbstverständlich war die Rückverlegung an Sicherheitsgarantien aller Parteien gebunden.

Diesmal sollten auch hochrangige Vertreter beider Seiten, unter anderem Mr. Amirkul AZIMOV, Vorsitzender des Rates zur Nationalen Aussöhnung, und Mr. Dawlat USMON, Generalstabschef der Vereinigten Tadschikischen Opposition, mitverlegen. Für diese neue Mission erhielt ich das Kommando und es erschien die Rückverlegung relativ sicher, zumal die o.a. Delegation mit im Konvoi war.

Allerdings sollten wir einmal mehr Anschauungsunterricht über die schwer durchschaubaren Zusammenhänge und die im Hintergrund ablaufenden Machtkämpfe erhalten. Diese Delegation wäre uns bei einer regierungsseitigen Sperre vor einer Brücke über den Surchob-Fluß bei Saripul beinahe zum Verhängnis geworden, da die bereits stark unter Alkoholeinfluß stehenden Soldaten jeglichen Respekt, auch gegenüber der eigenen Delegation, verweigerten, die Vertreter beider Seiten mit wüsten Beschimpfungen bedachten, wild um sich schossen und uns mit Hinrichtung bedrohten. In dieser Situation war ein olivgrüner Kleinbus (der, wie sich später herausstellen sollte, nur mit Frauen und Kindern besetzt war) – so traurig es sein mag – unsere Rettung: Völlig ansatzlos wurde das Feuer auf den Bus eröffnet, wodurch wir unverhofft die Gelegenheit zur Flucht erhielten und auch nutzten.

Ich könnte hier dem Leser noch eine Vielzahl ähnlicher Erlebnisse bringen, doch glaube ich bereits genügend Einblick in das Umfeld gegeben zu haben, in dem und aus dem heraus der MILOB unter ständig steigendem Druck und Streß seine Aufgaben zu erfüllen hat. Trotzdem gelang es immer wieder im Kleinen erfolgreich zu sein, wenn etwa Splittergruppen Geiseln festhielten und aufgrund unseres Einsatzes die Freilassung erreicht werden konnte. Auch möchte ich hier den Beitrag der UNO im Bereich des Kriegsgefangenenaustausches nicht unerwähnt lassen.

 

g.) Geiselnahme durch die Bakhrom-Gruppe

Mein Einsatz in Garm endete unerwartet. Ich litt bereits seit mehreren Wochen an einer hartnäckigen Durchfallerkrankung, und so entschied das Hauptquartier, mich nach Duschanbe zu evakuieren, wobei der Transport auf dem Luftweg durchgeführt werden sollte. Ein UN-Flug ist aber an die Genehmigung der Streitparteien gebunden, und diese wurde von der UTO, die weite Teile des Karategin in ihrer Gewalt hatte, verweigert. So wurde ein MILOB-Team bestehend aus einem Arzt, zwei Beobachteroffizieren und einem tadschikischen Dolmetsch in zwei Fahrzeugen Richtung Garm in Marsch gesetzt. Dieses für den MEDEVAC (Medical Evacuation) vorgesehene Team erreichte auch problemlos Garm, wo der Schweizer Militärarzt sofort mit der Untersuchung begann und meine Transportfähigkeit feststellte. Am nächsten Morgen, es war der 04. Februar 1997, starteten wir früh, um die zwar nur 200 km lange Strecke, die aber durch die winterlichen Fahrverhältnisse teilweise schwer passierbar war, in einem Tagesmarsch bewältigen zu können.

Es sollte eine lange Reise nach Duschanbe werden. Bei Obigarm (ca. 80 km östlich von Duschanbe) gerieten wir in einen Hinterhalt der Bakhrom-Gruppe, die uns in eine aufgelassene Senderstation der ehemaligen UdSSR verbrachte und dort als Geiseln festhielt. Das Verhalten der Geiselnehmer, die Art, wie sie mit uns umgingen, und die schier unerfüllbaren Forderungen nährten in uns die Sorge, unsere Heimat nicht mehr lebend zu sehen.

Ich möchte hier nur einige der Forderungen aufzählen:

  • Kein Angriff auf die Gruppe
  • Vertreter der Regierung müssen bis 05 02 0730 Uhr bei den Geiselnehmern zwecks Aufnahme von Verhandlungen eintreffen
  • Dem Bruder Bakhroms, Rizvon SADIROV, ist die Einreise aus Afghanistan samt Bewaffnung und Leibwächter zu gestatten
  • Die Regierungen Tadschikistans und Rußlands stimmen der Öffnung eines Korridors zwischen Afghanistan und Tadschikistan zu, um die ungehinderte Einreise der in Afghanistan kämpfenden Mujaheddins samt Bewaffnung zu ermöglichen.

 

Vor allem der letzte Punkt der Forderungen ist derart unerfüllbar, daß wir für unsere Zukunft das Schlimmste erwarten durften. Die Geiselnehmer machten auch kein Hehl daraus, uns für ihre Ziele einzusetzen und gegebenenfalls auch zu töten.

Ein derartiger Brückenschlag wurde bereits im Frühjahr 1995 durch Rebellen versucht und schon damals als massive Bedrohung der Interessen Rußlands in Zentralasien gewertet.

Einen Versuch, diesen Korridor zu erhalten (Rußland spielt in diesem Zusammenhang schon auch deshalb eine zentrale Rolle, stellt es doch die Hauptstreitmacht an der afghanisch-tadschikischen Grenze) unternahm die Bakhrom-Gruppe bereits im Dezember 1996, als die uns bei der Wiederherstellung der TS Garm unterstützenden Kameraden bei der Rückreise nach Duschanbe von eben dieser Gruppe abgefangen und als Geiseln genommen wurden. Damals konnten die teilweise dramatisch verlaufenden Verhandlungen rasch zu einem Ergebnis geführt werden. Leichter erfüllbare Forderungen wurden zugestanden und bzgl. des Korridors auf die Komplexheit der Problematik verwiesen, wären diesbezüglich ja auch Verhandlungen mit Rußland notwendig. Das Versprechen der tadschikischen Regierung, alles für die Öffnung des Korridors zu machen, bewegte die Bakhrom-Gruppe schließlich alle Geiseln freizulassen.

Schon bald erkannte Bakhrom SADIROV aber, daß eine Öffnung des Korridors niemals ernsthaft von der Regierung erwogen wurde, und so war er bei seiner zweiten Geiselnahme zu allem entschlossen, um einerseits die UNO unter massiven Druck zu setzen, andererseits die Regierung in die „Knie“ zu zwingen.

Eine Sorge galt auch möglichen Versuchen uns mit Gewalt zu befreien – eine derartige Aktion hätten wir mit Sicherheit nicht überlebt. Es war auch eine interessante Erfahrung, daß man in ausweglos scheinenden Situationen nicht aufgibt und nach einer Möglichkeit des Entkommens sucht. Leider war uns bald bewußt, daß jeder Versuch, aus dieser Zwangslage zu entkommen, einem „Himmelfahtskommando“ gleichgekommen wäre. Die Bakhrom-Gruppe führte uns ihre Entschlossenheit auch klar vor Augen. So mußten wir uns dürftig adjustiert vor unserer ,,Unterkunft“ in den Schnee legen, während die Geiselnehmer wie von Sinnen um uns herum schossen. Grund war der Versuch der Präsidentengarde (eine direkt dem Präsidenten unterstellte Einheit) die Bakhrom-Gruppe anzugreifen. Bakhrom hat unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß bei Weiterführen des Angriffs alle Geiseln erschossen werden.

In solchen Momenten passiert eine Eskalation der Gefühlswelt, deren Beherrschung lebensnotwendig ist. Hätte damals einer von uns die Nerven verloren und wäre zum Beispiel aufgesprungen oder ähnliches mehr (es gibt Studien, wonach Soldaten im Krieg kurz vor einem Verteidigungskampf irrationale Handlungen setzen können, aus ihrer Stellung springen und in Feindesrichtung zu entfliehen suchen, etc. was letztlich den sicheren Tod bedeutet), wäre es das sichere Ende gewesen.

Um sich jetzt noch in der Hand zu haben, wird man eine neue Erfahrung machen müssen, die uns erfolgsverwöhnten Wohlstandsmenschen nicht so leicht fällt. Man muß aus- oder loslassen können. Einfach zur Kenntnis nehmen, daß der Mensch nicht ewig leben kann. Wahrlich nicht leicht, aber notwendig und vielleicht meine größte Erfahrung. Ich scheue mich nicht der Bemerkung, daß religiösen Menschen das Auslassen in einer Situation, wo man gezwungenermaßen beginnt mit dem eigenen Leben abzuschließen, leichter fällt.-

Glücklicherweise sind wir damals nach tagelangem Hoffen, sich selbst Aufgeben und wieder offen, alle noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen.

Ich selbst wurde auf Grund meiner Erkrankung als Ester im Austausch gegen Nahrungsmittel, Medikamente und Treibstoff freiverhandelt, die Kameraden kamen später ebenfalls durch Verhandlungen frei, wobei es beim Freilassen der Geiseln noch zu einer Schießerei kam, der glücklicherweise niemand zum Opfer fiel.

Spätere Geiseln der Bakhrom-Gruppe hatten nicht mehr das Glück freizukommen, sondern wurden erschossen.

An dieser Stelle muß das besondere Engagement des zur Zeit der Geiselkrise eingesetzten Kommandanten (acting Commander) Col Jan ANDERSEN (Dänemark) besonders hervorgehoben werden. Die Professionalität, mit der Col A. im Krisenstab agierte, rettete uns letztendlich das Leben. Dieser Mann hat so wie wir während der gesamten Aktion kein Auge zugetan, und ihm gebührt aus meiner Sicht unser Dank!

Die UN hat nach diesen Ereignissen mit der Evakuierung aller Teile von Tadschikistan in die usbekische Hauptstadt Taschkent reagiert, wo wir zirka zwei Monate auf eine Entscheidung aus New York warteten, wie es mit UNMOT weitergehen soll.

Nachdem feststand, daß UNMOT die Arbeit wieder aufnimmt, bin ich so wie meine Kameraden, die Bakhrom überstanden hatten, wieder nach Tadschikistan zurückgekehrt, was vor allem bei meinen Verwandten auf Unverständnis stieß. Ich bin aber fest davon überzeugt, daß das neuerliche Annehmen der Herausforderung die beste Art darstellt, derartige Erlebnisse aufzuarbeiten. Wenn man hier zurückzieht, begibt man sich selbst ins ,,out“ und wird wohl lange mit sich selbst nicht ins reine kommen, zumal Schuld- und Versagensgefühle einen rationalen Zugang zum Erlebten versperren.

Auch ersetzt das Gespräch mit den Kameraden, die das Schicksal mit einem teilten, jede Gruppentherapie.